Die Entwicklung bis 1945

Ein gewerbliches Schiedsgericht wurde in der Siegener Zeitung vom 8. April 1876 erstmals erwähnt. Nach Erlass des Gewerbegerichtsgesetzes von 1890 nahm am 1. September 1893 das Gewerbegericht seine Tätigkeit in Siegen auf. Zuständig war es ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für Streitigkeiten

  • über den Antritt, die Fortsetzung oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie über die Aushändigung oder den Inhalt des Arbeitsbuches oder Zeugnisses
  • über die Leistung und Entschädigungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sowie über eine in Beziehung auf dasselbe bedungene Konventionalstrafe
  • über die Berechnung und Anrechnung der von Arbeitern zu leistenden Krankenversicherungsbeiträge
  • über die Ansprüche, welche aufgrund der Übernahme einer gemeinsamen Arbeit von Arbeiten desselben Arbeitgebers gegeneinander erhoben werden

Das Gewerbegericht bestand aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und zwölf Beisitzern. Die Richter mussten das 30. Lebensjahr vollendet haben. Der Vorsitzende und sein Stell­vertreter wurden auf sechs Jahr vom Magistrat gewählt und durften weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein. Die Wahl der Beisitzer, die je zur Hälfte aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebildet wurde war allein in 13 der 29 Paragraphen des Ortsstatuts geregelt.

Die Beisitzer erhielten – wie heute – für jede Sitzungsteilnahme eine Entschädigung.

Im Jahr 1904 folgte die Schaffung von Kaufmannsgerichten zur Verhandlung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Kaufleuten und Handlungsgehilfen auch in Siegen. Es wurde dem Gewerbegericht angegliedert.

Der Arbeitsumfang hielt sich in Grenzen. 1898 gab es insgesamt 23 Prozesse, 1899 schon 32, 1900 immerhin 43, 1901 sank die Zahl auf 17, um 1902 wieder auf 42 zu steigen und 1903 auf 27 Prozesse zu fallen. Bis zum Jahr 1909 steigerte sich die Anzahl der Rechtsstreite dann auf rund 80 im Jahr. Diese Fieberkurve war und ist typisch für die Belastungssituation der Arbeitsgerichtsbarkeit im südlichen Westfalen.

Mit der Verabschiedung des Arbeitsgerichtsgesetzes 1926 entstand auch in Siegen ein Arbeitsgericht. Nach den Vorstellungen des Arbeitgeberverbandes der Siegerländer Gruben und Hütten in einem Schreiben vom 22. Februar 1927 an den Preußischen Justizminister sollte auch ein Landesarbeitsgericht mit Sitz in Siegen für den Bezirk der Arbeitsgerichte Olpe, Siegen, Altenkirchen, Dillenburg und Wetzlar entstehen. Der Traum vom Landesarbeitsgericht wurde jedoch nicht verwirklicht. Vielmehr wurde ab 1. Juli 1927 das Arbeitsgericht Siegen eingerichtet, das für die Amtsgerichtsbezirke Attendorn, Battenberg, Berleburg, Burbach, Grevenbrück, Hilchenbach, Kirchhundem, Olpe und Siegen zuständig war. Berufungsinstanz war das Landesarbeitsgericht Hagen, das neben Siegen auch die Arbeitsgerichte Arnsberg, Dillenburg und Altenkirchen zu seinem Zuständigkeitsbereich zählte.

Mit der Gründung des Landgerichts Siegen im Jahr 1933 gab es erneut Überlegungen, ein Landesarbeitsgericht in Siegen zu bilden. Nach Auffassung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm war bei dem geringen Beschäftigungsstand der Arbeitsgerichtsbehörden eine Vermehrung der Landesarbeitsgerichte nicht sinnvoll. Ein Beleg hierfür wurde allerdings nicht beigefügt, der niedrige Beschäftigungsstand des Jahres 1933 würde ein irgendwie zuverlässiges Bild nicht ergeben, hieß es zur Begründung.

Zum 1. Juli  1936 endete die relative Selbständigkeit des Arbeitsgerichts bei dem Amtsgerichts. Die Richterstellen, mit denen bisher die Arbeitsgerichte ausgestattet waren, wurden den Amtsgerichten zugeführt. Es gab lediglich noch eine Arbeitsrechtliche Abteilung beim Amtsgericht Siegen. Auch dies war nur ein organisatorischer Vollzug der ideologisch gewollten Bedeutungslosigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten.

Die Entwicklung nach 1945

Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 21 vom 30. März 1946 wurde auch in Siegen wieder ein selbständiges Arbeitsgericht gegründet, das dem Landesarbeitsgericht Hamm als Berufungsinstanz zugeordnet war. Alleiniger Richter und Vorsitzender des Arbeitsgerichts Siegen wurde Arbeitsgerichtsrat Alfred Dicke, der der Behörde bis 1964 vorstand und nicht nur seine berufliche Heimat in Siegen fand.

Die Anfangsjahre waren geprägt von der unzulänglichen Unterbringung des Arbeitsgerichts im Bürogebäude der damaligen Firma Gebrüder Schuss in Siegen in der Eiserfelder Straße. Die Heizmöglichkeiten waren eingeschränkt. Die Möglichkeit einer geheimen Beratung der Kammer bestand nur dann, wenn man die Parteien unter freien Himmel schickte. Gleiches galt für Zeugen bei größeren Zeugenvernehmungen - eine zusätzliche Belastung mit staatsbürgerlichen Pflichten bei dem bekannten Siegerländer Wetter, wo sich der Sommer durch wärmer werdenden Regen bemerkbar macht. Dieses Provisorium auch in der Büroausstattung wurde erst am 11. April 1950 durch den Umzug in das frühere Amtshaus 2 nach Weidenau in die Wilhelmstraße 51 beendet.

Ähnlich problematisch war von Anfang an die Unterbringung des Arbeitsgerichts zur Abhaltung des Gerichtstages in Olpe. Die an und für sich sinnvolle Idee, diese in einem Sitzungssaal des Amtsgerichts Olpe abzuhalten, bedurfte immerhin einer fast 35-jährigen Umsetzungsphase. Denn erst mit Inbetriebnahme des Neubaus des Amtsgerichts Olpe erhielt das Arbeitsgericht – mehr zufällig als geplant – die Möglichkeit, in einem zum Sitzungssaal modifizierten Büroraum nebst Beratungszimmer seine Sitzungen abzuhalten. Bis dahin war man an verschiedenen Orten wie dem Ev. Gemeindehaus oder der Kath. Familienbildungsstätte in Olpe untergebracht, was schon mal den Einsatz richterlicher Muskelkraft bei der Herrichtung des Sitzungssaales erforderte.

1952 zog das Arbeitsgericht Siegen zusammen mit dem Bergamt, dem Gewerbeaufsichtsamt und dem Staatshochbauamt in den Neubau des Landesbehördenhauses an der Ecke Kölner Straße/ Poststraße. Hier erfreuten Annehmlichkeiten wie Zentralheizung, Anschluss an elektrisches Licht oder eine Fernsprechanlage. Auch im Übrigen waren nunmehr die räumlichen Voraussetzungen für eine vernünftige Arbeitsrechtspflege gegeben.

Ende der 60er Jahre war ein erneuter Umzug fällig. Das Landesbehördenhaus sollte abgerissen und an seiner Stelle ein Kaufhaus errichtet werden. Da es auch beim Arbeitsgericht häufig ums Geld geht, wurde es vorübergehend in der vierten Etage des Sparkassenhochhauses in der Morleystraße untergebracht, wo es bis zum 31. Dezember 1976 blieb. Nach dem Umzug des Landgerichts Siegen in den Neubau an der Berliner Straße und gründlichen Renovierungsarbeiten zog das Arbeitsgericht Siegen zum 1. Januar 1977 in das Erdgeschoss des Kurländer Flügels des Unteren Schlosses in Siegen. Hier ist es bis heute sehr gut und angemessen untergebracht.

Die zunehmende Zahl der Eingänge erforderte die Einrichtung weiterer Kammern beim Arbeitsgerichts Siegen. Ab 1976 war das Arbeitsgericht Siegen mit zwei Richtern besetzt, ab 1979 mit drei Richtern. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die bereits seit Ende des vorletzten Jahrhunderts auftretenden Fieberkurven in der Belastung lassen die Schaffung einer vierten Richterstelle in Siegen nur vorübergehend vom 1. Mai 2004 bis 31. Dezember 2005 zu.

Des Weiteren sind derzeit zwei Rechtspflegerinnen, acht Angestellte und ein Justizhelfer beim Arbeitsgericht beschäftigt.

Die Abgelegenheit Siegens hatte Einfluss bei seiner Besetzung. Nach dem Ausscheiden von Arbeitsgerichtsrat Dicke 1964 kam es zunächst zu keiner kontinuierlichen Besetzung der Vorsitzendenstelle. Vielfache Vertretungen und häufiger Wechsel führten zu Unmut bei den Prozessbevollmächtigten. Erst Ernst-Dieter Berscheid war 1975 bereit, nicht nur in Siegen tätig, sondern auch im Siegerland sesshaft zu werden.

Zweiter ständiger Richter wurde Winfried Schwarz, später Kreisdirektor, nunmehr Geschäftsführer eines Unternehmens im Wittgensteiner Land, dessen Aufsatz in der Festschrift des Landesgerichts Siegen über die Arbeitsgerichtsbarkeit im Südzipfel Westfalens Grundlage für diese Darstellung ist.

Als dritter Richter folgte ab 1980 Walter Reinhard, der ab 1991 Direktor des Arbeitsgericht und damit Nachfolger von Ernst-Dieter Berscheid wurde, der zum Landesarbeitsgericht Hamm wechselte.

Seit 1998 ist nach dem Wechsel Reinhards zum Landesarbeitsgericht Hamm Ralf Henssen Direktor des Arbeitsgerichts. Er begann seine arbeitsrichterliche Tätigkeit 1984 in Siegen.

Zuletzt waren bedingt durch Abordnungen und Versetzungen in den letzten Jahren wieder häufiger Richterwechsel am Arbeitsgericht Siegen zu verzeichnen. Vom 1. August 2002 bis 31. Dezember 2004 war Stefanie Esser die erste und bislang einzige Frau als Richterin am Arbeitsgericht Siegen tätig. Ab 1. Februar 2006 sind neben Direktor Ralf Henssen die Richter am Arbeitsgericht Klaus Deventer und Holger Perschke tätig.

Die Belastungssituation des Arbeitsgerichts Siegen ist, wenn auch in einem uneinheitlichen Verlauf, beständig gestiegen. Die Spitze markiert der Eingang von 3003 Ca-Sachen im Jahr 1996, gefolgt von 2800 Ca-Sachen im Jahr 2003. Die weitere Entwicklung seit 1996 kann dem Bereich Statistik entnommen werden.

Eine tiefgreifende Änderung der Organisation und der Arbeitsabläufe beim Arbeitsgericht Siegen fand in den Jahren 1995 bis 1997 mit der Einführung der EDV statt.

Die technische Vollausstattung des Gerichts ging einher mit der Aufgabe der bisherigen Unterteilung zwischen Kanzlei, Protokolldienst und Geschäftsstellenverwaltung. Serviceeinheiten wurden eingerichtet. Die Mitarbeiterinnen dieser Serviceeinheiten bearbeiten die Akten nunmehr ganzheitlich und selbständig, d. h. sie erledigen nicht nur Schreibarbeiten, sondern sind für die Aktenverwaltung und die Umsetzung der Ergebnisse richterlicher und rechtspflegerischer Arbeit zuständig. Darüber hinaus werden ihnen zunehmend neue Aufgaben in den Bereichen Kostenberechnung, Rechtsantragsstelle und Prozesskostenhilfe übertragen. Dadurch werden sie unmittelbare Ansprechpartner für die am Verfahren beteiligten Parteien und ihre Bevollmächtigten. Zugleich wurden die Bearbeitungswege erheblich verkürzt. Nur dadurch konnte der stetig steigenden Belastung in der Vergangenheit Rechnung getragen werden.

Die Umstellung in Organisation und Arbeitsabläufen war mit erheblichen persönlichen Belastungen für die Mitarbeiterinnen verbunden. Sie ist nicht abgeschlossen, sondern wird bei den Arbeitsgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen kontinuierlich weiterentwickelt.